Die Idee stand schon lange im gedankenleeren Raum. Immer, wenn ich zufällig mal ein Lippenpiercing sah, fand ich es schön und konnte mir vorstellen, mir auch eines stechen zu lassen. Dennoch habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht, habe nicht nach gegrübbelt, soll ich oder soll ich nicht, habe keine Informationen im Internet gesammelt…., bis die Idee aus dem gedankenleeren Raum in mein Bewusstsein hüpfte und sagte, ich bin jetzt reif und klar, ich will in die Tat umgesetzt werden.
Also surfte ich im web herum, schaute Bilder an, holte mir Information ein. Dabei erfuhr ich, dass es verschiedene Varianten des Lippen-Piercings gibt.
Natürlich kann man sich auch unten seitlich ein Piercing einsetzen.
Ich habe schöne Bilder gesehen von Menschen, die mehrere Lippenpiercings haben, was sehr symmetrisch und ästhetisch aussieht.
Ich überlegte eine Weile hin und her, welche Stelle ich wählen sollte und entschied mich schließlich für das klassische Labret.
Als ich Pfingstmontag mit Raven telefonierte, verfolgte ich noch die Idee, mir das Piercing bei ihr in Düsseldorf stechen zu lassen, wenn ich sie in der dritten Juli-Woche besuche. Doch schnell war mir klar, das Piercing duldet keinen Aufschub mehr, ich will es so schnell wie möglich haben.
Ich fand im Internet das Tattoo- und Piercing-Studio Kartell in der Frankfurter Innenstadt. Ich wusste nicht so recht, ob mir die Bilder des Teams sympathisch sein sollten oder nicht, aber es gab einige Punkte, die für das Studio sprechen.
Die Mitgliedschaft in der Organisation professioneller Piercer garantiert Qualität was Können und Hygiene des Piercers betrifft.
Ich wollte nicht erst umständlich einen Termin ausmachen müssen, da ich Donnerstag ohnehin wegen eines Arzttermins nach Ffm musste und dabei das Labret mitnehmen wollte.
Preise auf der Homepage finde ich wichtig. Nachfragen müssen finde ich lästig.
Mit 65€ für ein Lippenpiercing ist das Kartell nicht gerade günstig. Ich hatte irgendwo in der Republik ein Studio gefunden, das für die gleiche Leistung nur 39€ verlangte. Aber nun denn, daran sollte es nicht scheitern, trotz winzigen Geldbeutel wollte ich mir einfach etwas körperliches, lebendiges Gönnen, die rein geistige Existenz kommt noch früh genug.
Piercing ist eine jugendliche Angelegenheit. Die Studio-Websites werden nicht müde zu betonen, dass der schöne Stich für Minderjährige nur mit Einverständniserklärung der Eltern oder sogar nur im Beisein der Eltern und sowieso erst ab sechzehn Jahren zu haben ist.
Mit meinen 41 Jahren bin ich also eine Piercing-Omi ;-)
In diversen Foren fragen die jungen Leute ängstlich, ob das Stechen denn weh tue. Manche bejahen das andere, verneinen das, kommt eben auf das individuelle Schmerzempfinden an. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Schmerz das Opfer ist, welches ich meinem Körper bringe, dafür dass er ein Löchlein bekommt.
Am Piercing scheiden sich ähnlich wie bei Tätowierungen die Geister. Die einen erfreuen sich am Körperschmuck, drücken darin ihre Persönlichkeit aus und wollen sich mit ihrer speziellen Körperkunst eine individuelle Note geben.
Aus diesem Grund möchte auch ich ein Piercing haben. Es passt zu meinem auch sonst sehr individuellen Kleidungsstil.
Dann gibt es noch die Fraktion, die Piercings ablehnt, weil es zu medizinischen Komplikationen führen kann. Denen kann ich nur raten: Hören Sie auf zu leben, das Lebensrisiko ist einfach zu hoch!
Donnerstag Morgen hatte ich zunächst einen Termin beim Onkologen (siehe 1.Teil).
Danach spazierte ich die lange Berger Straße hinunter bis zur Konstabler Wache.
Die erste Person, die mich ansprach, war ein bärtiger Mann, Türke oder anderer Orientale oder ähnliches. Er sah nicht mal schlecht aus und machte mir ein Kompliment wegen meiner schönen Kleidung. Ich trug meinen roten Panneesamt-Mantel mit passendem Hütchen. Es freut mich natürlich, wenn mir jemand auf der Straße Komplimente macht. Ich wollte schon weitergehen, aber er wollte mich in ein Gespräch verwickeln, schließlich fragte er, ob ich einen Mann hätte. Mit süßem Lächeln bejahte ich dies, um ihn loszuwerden. Hätte ich mich als Single geoutet, hätte er mich bestimmt zum Kaffee oder Essen eingeladen. Es war schon immer so, dass ich hauptsächlich von orientalischen Männern auf der Straße angesprochen werde. Mit Venus im Stier habe ich vielleicht etwas von einer üppigen, prächtigen Haremsdame.
Auf dem weiteren Weg wurde ich viermal von Schnorrern um etwas Kleingeld gebeten. Manchmal gebe ich Obdachlosen etwas, weil ich nachfühlen kann, wie grauenvoll es sein muss, kein zu Hause zu haben, aber diese Schnorrerei finde ich lästig.
Viel amüsanter fand ich die beiden Grundschulkinder, die mich fragten, ob sie mich im Rahmen eines Projektes fotografieren dürften. Titel des Projektes war so viel wie “Von jung nach alt – Lebensphasen des Menschen”. Die Kinder zeigten mir das Ergebnis auf dem Display ihrer Digi-Cam, ich war zufrieden. Die etwas abseits stehende Lehrerin lächelte mir zu und bedankte sich bei mir.
Sechsmal ist nicht genug, siebenmal muss es ein.
Zum siebten mal wurde ich in der Töngesgasse angesprochen. Eine Frau, Zigeunerin, Orientalin or whatever rief mir schon von Weitem zu. Ich flüchtete eilig, denn diese Sorte ist erfahrungsgemäß besonders aufdringlich, will mir aus der Hand lesen und hat keinen Respekt vor dem persönlichen Raum eines Menschen.
Da ich morgens nur eine Banane gegessen hatte, knurrte mir der Magen, was für Piercing nicht gut sein soll, weil das zu Kreislaufproblemen führen kann. Ich kaufte mir daher ein mit Butter beschmiertes Laugenhörnchen und ging gestärkt Richtung Kartell.
Das Studio sollte um 12:00 öffnen. Ich hatte es schon mal erlebt, dass es Studios mit ihren Öffnungszeiten nicht so genau nehmen, deshalb ging ich erst um 12:20 hin und stand vor verschlossener Tür.
So ein Mist, was jetzt? Ich wartete ein paar Minuten und tatsächlich, da kam das Team in ihren roten Shirts und öffnete den Laden.
Ich habe mich in dem Studio gleich sehr wohl gefühlt und alle Kerle waren sehr freundlich. Der Piercer kam gleich zur Sache, erklärte mir, wie ich die Wunde pflegen muss, um eine Infektion zu vermeiden. Dann musste ich einen Fragebogen ausfüllen, der vor allem die Gesundheit abfragte. Diabetiker werden nicht gepierct, weil bei ihnen Wunden schlecht heilen. Bei Hepatitis scheuen die Piercer wahrscheinlich die Infektionsgefahr. Auch darf man vorher keine blutverdünnenden Mittel wie Aspirin zu sich nehmen.
Ich gab als chronische Krankheit wahrheitsgemäß meinen Krebs an, aber das war kein Hinderniss.
In einem seperaten, gekachelten Raum standen alle Utensilien bereit. Ich musste den Mund mit Listerin desinfizieren und nahm dann auf einem grauen Stuhl Platz, der einem Zahnarztstuhl ähnelte. Der Piercer desinfizierte mein Kinn und markierte mit einem Stift eine Stelle unter der Lippe, mit der ich einverstanden war. Dann nahm er eine Zange, mit der meine Lippe fixierte. Die Zangenarme sind nicht durchgehend geschlossen sondern habe eine Öffnung, damit der Piercer durch die Zange hindurch stechen kann.
Schmerzen? JA! Ein intensiver Schmerz! Ich frage mich, wie Menschen keinen Schmerz haben können, wenn ihnen ein Hautlappen durchstochen wird?
Das Gute an dem Schmerz ist, er ist schnell vorbei. Das ganze dauert nur wenige Sekunden oder noch weniger. Dann wird der Steg eingefädelt, der in meinem Fall aus zahnfreundlichem PFTE (Polytetrafluorethylen) besteht. Im Mundinnenraum ist der Steg durch ein Plättchen abgeschlossen. Schließlich wird aus eine kleine Titankugel aufgeschraubt. Fertig.
Das kleine Kügelchen sieht noch etwas verloren aus, das verlangt nach mehr Piercings.
Letztlich ist das Piercen kein großer Akt. Wichtig ist nur, dass der Piercer sterilisiertes Werkzeug benutzt.
Da die Wunde anschwellen kann, wird als Ersteinsatz ein längerer Stab eingesetzt. Der kann später verkürzt werden, wobei mein Piercer meinte, er nimmt einen nicht allzu langen Stab, man könne die Länge auf Dauer drin lassen.
Die Wunde braucht etwas vier Wochen zu Verheilen. Dann beginnt erst die schöne Zeit mit Schmuck meiner Wahl. So gibt es farbige Kügelchen oder solche mir geschliffenem Stein, sehr gut gefallen mir auch die spitzen Einsätze.
Zur Pflege bekam ich ein Fläschchen Octenisept mit auf den Weg. Antiseptikum vor Kathederisierung der Harnblase, steht darauf. LOL
Morgens und abends desinfiziere ich die Wunde damit über ein Wattestäbchen. Die Wunde merke ich kaum, nur das Plättchen im Mund ist etwas gewöhnungsbedürftig. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis man es nicht mehr merkt. Der Stich verheilt gut, ist nicht angeschwollen, es gibt keine Komplikationen.
Wie das immer so ist, ein Piercing verlangt nach mehr. Neben dem Labret habe ich nur zwei Ohrlöcher pro Ohr und einen Nasenstecker (Nostril). Ich kann mir noch weitere Lippenpiercings vorstellen. Vor allem aber liebäugele ich mit einer sogenannten Nasen-Bridge. Dabei wird die Haut auf der Nasenwurzel, zwischen den Augen durchstochen. Über die Bridge kursieren besonders viele Horrorgeschichten, da wird von Gesichtslähmungen und Blindheit gesprochen – natürlich immer von den Leuten, die persönlich keine Erfahrung damit haben und sowieso nicht nachvollziehen können, wieso sich Leute so etwas schmerzvolles und verunstaltendes wie ein Piercing antun. Auf Ciao habe ich einige solcher Lästereinträge gefunden. Diese Plattform dient eigentlich persönlichen Erfahrungsberichten. Die meisten Einträge sind jedoch von Lästerheinis verfasst worden, die sich berufen fühlen, die Welt vor den Nasenbrücken zu warnen und hinaus zu speien, wie häßlich sie das finden. Selbst unter Gepierten ist die Nasenbrücke umstritten und es gibt Piercer, die sich weigern das zu stechen. Das Kartell bietet die Nasenbrücke auf ihrer Website an.
Ich finde diese Stelle besonders schön, weil sie in der Mitte des Gesichts liegt und mich an ein Bindi oder Tilaka erinnert.
Neben weiteren Piercings steht noch ein Pentagramm-Tattoo auf meinem Körperverzierungsprogramm. Das Pentagramm ist mein Symbol, deshalb möchte ich es an expornierter Stelle haben. Im Moment liegen Handgelenk oder Handrücken im Rennen. Ich glaube, mein Appetit auf Körperzier liegt nicht zu letzt daran, dass ich vielleicht bald keinen Körper mehr haben werde und ich mich nochmal so richtig in meiner Leibhaftigkeit suhlen muss.
Als ich Donnerstag Morgen aufgestanden war, dachte ich einen Moment lang: Ein Piercing lohnt sich doch gar nicht mehr.
Nix da – es lohnt sich bestimmt.
Allen Piercinghassern lege ich nahe, mich nicht mit Lästereinträgen zu belästigen. (Ah wie schön die Worte zusammen passen). Die Mühe lohnt sich nicht. Erstkommentare müssen von mir frei gegeben werden, bevor sie erscheinen – und ich werde solche Einträge ohne nähere Betrachtung sofort löschen.
Der Beitrag wurde am Montag 8. Juni 2009 um 20:28 veröffentlicht und wurde unter Persephones Perspektive abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare sind derzeit geschlossen, aber Du kannst einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
ich kann mir bei dir besonders gut so ein augenbrauenpiercing vorstellen
würde dir total gut stehen
@gretej:
Ja vielleicht auch ein Augenbrauen-Piercing, aber nur einen vertikalen Stab. Die Ringe gefallen mir nicht so gut.
genauso seh ich dich ;-) mit ring hab ich`s mir gar nicht vorgestellt und stimmt: das würde nicht passen
Sieht gut aus! :top
Das Thema Body Modification spaltete schon immer die Gemüter. Ich glaube, man kann es nur hassen oder lieben. – so, wie es ihm gefällt.
Mit Tattoos oder Piercings jenseits der Ohren ist man auch heute noch in der Minderheit und fällt natürlich auf, insofern muss man leider mit dummen Kommentaren rechnen. Was ich jedoch dreist finde, ist die Tatsache, dass die nicht-Gepiercten oder nicht-Tätowierten immer meinen, ihre Meinung ungefragt hinausposaunen zu müssen, nicht nur im Internet. Irgendwer, oft genug wildfremde Menschen, quatscht Dich früher oder später immer an und drückt Dir seine Meinung aufs Auge. Gehe ich durch die Welt und teile jemand dahergelaufenen Hansel mit, was ich von seinen Klamotten halte oder von seiner Frisur? Nein, natürlich nicht. Aber Tattoos und Piercings interpretieren einige Zeitgenossen offensichtlich als Freifahrtschein dafür. :wut
Ich persönlich bin Piercings gegenüber recht neutral eingestellt. Für mich selbst habe ich es nie in Betracht gezogen, zumindest jenseits der Ohren, aber bei anderen finde ich es durchaus gut, je nach Fall.
Ich glaube, das mit der Nasenbrücke ist ein Märchen. Da wird doch nur die Haut durchstochen, nicht der Knorpel, was soll daran so gefährlich sein?
Das gehört wohl auch zur Panikmache.
Ich finde das Handgelenk schöner für ein Tattoo als den Handrücken – ich finde den Handrücken generell nicht so toll als Platz für ein Tattoo – jedoch hieß es in meinen Tattoo-Communities auf Livejournal immer, da wird es schnell unschön und wäre gerade bei feineren Sachen nicht zu empfehlen, weil der Bereich durch die Handbewegung ziemlich strapaziert wird.
“Ich glaube, mein Appetit auf Körperzier liegt nicht zu letzt daran, dass ich vielleicht bald keinen Körper mehr haben werde und ich mich nochmal so richtig in meiner Leibhaftigkeit suhlen muss.
Als ich Donnerstag Morgen aufgestanden war, dachte ich einen Moment lang: Ein Piercing lohnt sich doch gar nicht mehr. Nix da – es lohnt sich bestimmt.”
Kann ich verstehen, so ähnlich erging es mir während meiner bislang schwersten Depression. Da musste auch früher oder später ein Tattoo her.
Da fällt mir ein, ich habe darüber ja auch noch nicht gebloggt…
PS: Cooler Avatar!
@Raven
Glücklicherweise musste ich mir noch keinen dummen Kommentar anhören. Ich finde, dass Piercing fügt sich so harmonisch in mein Gesicht, dass es kaum auffällt. Richtig auffällig wird es erst, wenn mehrere Schmuckstücke im Gesicht prangen.
Seither achte ich sehr auf Piercings bei anderen Leuten, aber ich sehe fast niemanden, der gepierct, außer ab und zu einen Nasenstecker. Wo sind die nur alle?
Die Nasenbrücke wird wahrscheinlich mein nächstes Piercing sein. Vielleicht machen wir es, wenn Du zu mir kommst.
Schön bei einem Tattoo am Handgelenk finde ich, dass es aussieht wie ein Stigma, ein heiliges Mal. Handrücken finde ich gut, weil es ins Auge springt und sich schlecht verbergen lässt. Es drückt der Persönlichkeit einen besonderen Stempel auf.
Die schnelle Abnutzung am Handgelenk würde zudem gegen das Handgelenk sprechen.
Ja Bodymodification beweisen einem, dass man noch am Leben ist und seinen Körper wieder spürt. Während einer Depression oder tödlichen Krankheit kann man schnell das Gefühl für den Körper verlieren.
Der V-Avatar muss sein. Freiheitskämpfer! :anhimmeln
Ich finde das piercing echt gut!!!! ich will mir auch eins stechen lassen!!! An der rechten unterlippe!!!!!! Bin aber erst 14 meine eltern findens zwar nich so gut aber ich hoff das ich s bekomm weil ich es schon will seit ich 12 bin!!!! Ich bin eben wie mein Vater er isch fast am ganzen körper ,,bemalt” ;-) LG Amy