Sie bricht, sich bricht
die Sonne bricht
Zenit erreicht
sie sinkt, sie weicht
Bogen überspannt
am Himmel verbrannt
Rache der Sinkenden
in Hitze Ertrinkenden
ins Feuerland
sie alle bannt
Gestern, 24. Juni, war Johannistag, mit dem die Zeit der Sommersonnenwende endet. Leider wird sich die nun beginnende Verkürzung der Tage erst im August richtig bemerkbar machen und im Abgesang, im letzten Aufbegehren entfaltet die Sinkende ihre fürchterlichste Macht. Nach einer kurzen Erholungspause in wolkenbeschirmter Kühle hat uns in die Sonne wieder ins Feuerland verbannt.
Nichtsdestotrotz wagte ich mich am Johannistag bewaffnet mit Sonnenbrille und Sonnenhut hinaus in die Welt, weil ich mit Cassandra das Labyrinth in der Eilenriede abgehen wollte. Zu dumm nur, dass an diesem Tag der bisherige Höhepunkt der Massenpsychose durch Hannover zuckte. Kaum eine Gestalt, die nicht mit Deutschlandflahne als Wickelröckchen oder mit schwarz-rot-gold verschmierter Backe herumlief. Das an sich wäre ja nicht schlimm gewesen, besäßen einige dieser Exemplare nicht die lästige Angewohnheit Nicht-Psychotiker mit ihrer Pöbelei zu belästigen. Alles, was nicht wie sie gröhlend herumtaumelt, wird sofort als Fußball-Ignorant identifiziert und mit dummen Sprüchen belegt.
So hefteten sich zwei Verrückte an meine Fersen und ich nehme an, dass sie nur deshalb am Aegie in Linie 11 Richtung Zoo eingestiegen sind, weil ich dort eingestiegen bin. Sie torkelten ziellos umher und lallten mich mit Sprüche wie “Äh, du Heavy Metal oder Satan”? voll. Natürlich setzten sie sich in der leeren Bahn direkt neben mich und als sie endlich ausstiegen, weil sie in einem letzten Glimmer des Erwachens registrierten, dass beim Zoo kein Fußball stattfindet, klopften sie von außen gegen die Scheibe der Bahn.
ich werde es nie begreifen, wie man so schrecklich dumm und widerwärtig sein kann. Für solche Objekte gibt es nur eines: die sofortige und vollkommene Ausrottung!
Mit einem Universum, in dem sich solcher Menschenabfall bilden kann, kann etwas nicht stimmen.
Als ich Cassandra am Bison vor dem Zoo traf und wir in die Eilenriede sparzierten, meinte sie, Merlin, ihr Geistführer sehe die WM positiv als eine Möglichkeit der Völkerverständigung.
“Das ist doch primitivstes Brot und Spiele”, entgegnete ich. “Das hat vor 2000 Jahren funktioniert und es funktioniert immer noch. Die Menschen haben sich keinen deut weiter entwickelt und lassen sich willig von einem albernen Sportspiel von wichtigen Themen ablenken”.
Cassandra gab mir recht.
Es wollte aber auch gar nichts klappen. Als wir am Labyrinth ankamen wurde selbiges schon von einer Gruppe aus vier jungen Frauen belagert, die diesen Ort mit einer Picknick-Wiese zu verwechseln schienen, was besonders Cassandra erboste. Wir setzten uns auf eine Bank und siehe da, nach einer Weile stellten sich die vier Frauen zu einem Kreis auf. Erst dachte ich, sie würden ein Ritual machen, aber offenbar ging es darum, dass eine eine Bewegung vorturnte, die von den anderen nachgeahmt wurde. Natürlich wurde, wie bei dieser Altergruppe üblich, dabei gegickelt, gegackert und gekichert. Weiber.
Endlich war die Bahn frei für uns und wir beschritten meditativ den Labyrinth-Weg. Cassandra hat dabei immer die tollsten Visionen, während ich nur ein Gefühl empfand: vollkommene Verlassenheit, den Stürmen des Lebens ganz allein ausgeliefert und es wird niemals anders sein. Es gibt keine Hoffnung und keinen Trost, es gibt kein Ende und niemals Frieden. Nichtmal den Tod finde ich verlockend, denn er macht nicht ungeschehen, dass ich nicht lebe und eine Rückkehr in das Universum, dass mich zwingt und betrog, ist alles andere als ein tröstlicher Gedanke.
Ist dieser Planet also tatsächlich eine Art Hölle? Alles deutet darauf hin.
Auch Cassandra haderte mit ihrer Vision, denn sie handelte von der Einsamkeit der Seherin. Kassandras Fluch
Cassandra besitzt eine außergewöhnliche Intuition und es ist kein Zufall, dass sie vor einigen Jahren bei ihrer offiziellen Namensänderung den Namen Cassandra wählte, ohne den mythologischen Hintergrund zu kennen.
Während dasaßen und unsere Visionen austauschten, kamen zwei alte, sympathische Herren und schritten das Labyrinth auf eine so niedliche Weise ab, dass das Weibergegacker von vorhin wieder wett gemacht wurde.
Frustriert verließen wir die Kontemplation des Waldes und sparzierten in die List, um den Abend in einem Lokal ausklingen zu lassen. Nach der Stille des Waldes erlebten wir einen Kulturschock: nicht enden wollende Kolonnen aus hupenden Autos mit kreischenden Insassen lärmten durch die Straßen und machten es unmöglich sich draußen in ein Straßecafe zu setzen.
Nach einem Abstecher im vegetarischen Öko-Cafe Coffee and Carrots, das wir wegen des Lärms bald wieder verließen, suchten wir Zuflucht im hintersten Winkel einer Eisdiele auf der Lister Meile. Auf dem Weg wurde uns irgendeine unqualifizierte Bemerkung hinterher gerufen, deren Schallwellen zum Glück vom Umgebungslaut geschluckt wurden.
Als die Lage sich einigermaßen beruhigt und die Nacht ihren schützenden Schleier über den Himmel gebettet hatte, suchten wir das Pavillion auf. Seine studentische Atmosphäre erinnerte mich daran, dass ich mich eher wie eine Studentin fühle und dass mich jedesmal das Graußen packt, wenn ich meiner ach so erwachsenen, im Spießertum erstarrten Altersgenossinnen gewahr werde.
Um Mitternacht machten wir uns auf den Heimweg. Glücklicherweise gab es keine weiteren Pöbeleien. Die Energien dieses brodelnden Mob waren deutlich spürbar und bereiteten mir Unbehagen. Eine so homogene Masse, die sich leicht untereinander erkennt, richtet ihre Stimmung gerne gegen alles andersartige, gegen alles, was ihnen nicht gleichgeschaltet ist. :!:
Glücklicherweise erreichte unbeschadet meine Festung und konnte erleichtert die Tür hinter mir schließen.
Trotz der vorgerückten Stunde erholte ich mich in der Badewanne und verspeiste die rituelle Tüte Kartoffelchips.
Das war der Johannistag des Jahres 2006.
Der Beitrag wurde am Sonntag 25. Juni 2006 um 20:06 veröffentlicht und wurde unter Aus der Unterwelt abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare sind derzeit geschlossen, aber Du kannst einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
Wie, Du bist eine Musikrichtung? :razz: Und dann auch noch knapp daneben getippt. :roll: Falls Du der Leibhaftige sein solltest, hoffe ich auf ein möglichst kühles Plätzchen in der Hölle in Führungsposition.
Das Gedicht ist inspired by Subway to Sally, oder? Das neue Album hat es Dir ja wirklich angetan.
Also sollte sich eines Tages meine Amnesie verflüchtigen und mir wieder einfallen, dass ich der Höllenfürst höchstpersönlich bin, so werde ich mich über die perfekte Durchführung meines Werkes auf Erden selbst beglückwünschen und Dir natürlich ein angenehm temperiertes Plätzchen im Höllenschlund reservieren.
Ja das “Feuerland” ist wohl von Subway to Sally ins Gedicht gerutscht. Du hast Recht, dass NordNordOst Album hat es mir wirklich angetan. Es gibt kein Lied, dass ich nicht klasse finde, es ist das beste Album, dass ich kenne. Zum Vergleich habe ich von meinem Bruder Engelskrieger bekommen, auch toll, aber bei weitem nicht so ein Meisterwerk wie NordNordOst.