Ein heilend Gift ward mir gebraut
aus Platinsud und Eibenkraut
Gepumpt durch meine Purpurflüsse
Verteilt es seine Todesküsse
Nicht wählerisch ist dieses Gift
gesundes Fleisch es auch zerfrißt
Mein Haar verlor ich längst im Sturm
in meinem Magen nagt ein ‘Wurm
Erschlafft baumeln meine Glieder
zwingt mich aufs Krankenlager nieder
Der Sensemann reißt mir am Gebein
und meine Füßchen schlafen ein
Doch ohne fatales Elixier
wär ich nicht mehr lange hier
Gevatter Tod würd mich abholen
und mein Karma mir verkohlen
Drum laß ich meine Venen fluten
Muss ein wenig mich noch sputen
dann ist mein Lebenswerk vollbracht
und mir lacht des Friedens Macht
Sechs Zyklen Chemotherapie alle drei Wochen mit den Zytostatika Carboplatin und Paclitaxel (Taxol), so lautet der Goldstandard bei der Behandlung von Eierstock-Krebs.
Carboplatin ist eine organische Platin-Verbindung mit der Summenformel C6H12N2O4Pt und wird meistens in Kombination mit anderen Zytostatika auch bei anderen Krebsarten wie z.B. Lungen- und Hodenkrebs eingesetzt.
Taxol ist ein Pflanzengift, welches aus der Pazifischen Eibe Taxus brevifolia gewonnen wird.
Während die zytostatische Wirkung von Carboplatin auf einer Blockierung der DNA-Replikation beruht, greift Taxol den für die Chromosomenverteilung bei der Mitose notwendigen Spindelapparat an. Taxol ist lichtempfindlich, so dass es im Gegensatz zu Carboplatin in einer opaken Plastiktüte zum Einsatz kommt. Während der Infusion ist das etwas lästig, weil man so nicht sehen kann, wie viel noch drinnen ist. Aus der Perspektive eines analogen Weltbildes ist anzumerken, dass die Eibe als Baum des Todes und damit als Baum der Weisheit gilt. Wie passend, dass ausgerechnet aus diesem Baum ein Medikament zur Behandlung der tödlichen Krankheit Krebs gewonnen wird.
Den meisten Chemotherapie-Patienten wird im Vorfeld ein sogenannter Portkatheder zur Verabreichung der Infusionen implantiert. Es handelt sich dabei um einen kleinen Tropf mit einer Silikonmembran, der im Brustraum unter die Haut gebracht wird und der mittels eines Schlauches mit einer Vene verbunden wird. Über diesen Port können die Infusionen weit bequemer verabreicht werden, als dass bei einem normalen Venenkatheder in der Armbeuge oder an der Hand der Fall wäre und diese Venen werden geschont.
Mein Port wurde mir am Vormittag meines Entlassungstages im Robert-Koch-Krankenhaus in Gehrden eingesetzt. Dazu ist eine Operation unter lokaler Betäubung nötig. Ich empfand diese OP als sehr unangenehm, weil immer wieder der Schmerz durchkam und die Chirurgin Betäubungsmittel nachspritzen musste, zudem musste ich ziemlich verrenkt unter den OP-Tüchern herumliegen. Die Ärztin hatte einige Mühe, den Portschlauch in die richtige Vene zu schieben, weil diese bei mir ungewöhnlich tief lag. Man kann den Port durch die Haut ertasten und teilweise diesen Fremdkörper auch sehen. Anfangs fand ich das unangenehm, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.
In der ärztlichen Korrespondenz ist meine Chemotherapie stets mit dem Adjektiv palliativ versehen. Übersetzt bedeutet das, meine Chemotherapie hat keinen Anspruch auf Heilung sondern dient lediglich der Verlängerung der Lebenszeit und der Verbesserung der Lebensqualität, in dem die Metastasen so weit zurück gedrängt werden, dass sie keine Beschwerden wie Aszites oder Pleuraerguss verursachen. Der Begriff palliativ in Zusammenhang mit einer Chemotherapie wird immer dann gebraucht, wenn ein metastasierender Krebs vorliegt.
Meine erste Chemotherapie erhielt ich am 12.Juli 2007 stationär im Bethanien-Krankenhaus in Frankfurt. Alle weiteren Zyklen wurden ambulant in der onkologischen Gemeinschaftspraxis neben dem Bethanien-Krankenhaus verabreicht.
Zur Therapie fand ich mich am frühen Morgen meistens gegen 8:00 in der Praxis ein. Zunächst wurde mir Blut abgezapft, um meine Blutwerte zu prüfen. Bei extrem schlechten Blutwerten müsste die Therapie verschoben werden, das war bei mir jedoch nie der Fall. Bevor die Zytostatika verabreicht wurden, bekam ich drei vorbereitende Infusionen zur Milderung der Nebenwirkungen, eine gegen Übelkeit, Kortison und ein Antiallergikum. Letzteres machte schrecklich müde, so dass mir die Augen zufielen und ich abgeschlafft in meinem Therapiesessel saß. Die mitgebrachte Lektüre blieb so meist ungelesen. Nach den Nebenmittelchen erhielt ich zuerst Carboplatin und danach Paclitaxel. Für die Carboplatin-Infusion war eine Stunde angesetzt, die Paclitaxel-Infusionen dauerte standardgemäß sogar drei Stunden. Bei mir zogen sich die Infusionen jedoch noch viel länger hin, weil es nur langsam in meinen Port tropfte. Meistens saß ich von 8:00 bis 15:30 in der Therapie. Das war jedesmal eine Tortur. Danach fiel ich immer totmüde ins Bett. Einmal bekam ich schreckliche Magenkrämpfe, die glücklicherweise dank Schmerzmittel und Bettruhe wieder verschwanden.
Bei meiner letzten Chemo konnte ich es mir endlich auf einer Liege bequem machen, denn die Dame, der die Liege zugedacht war, wollte lieber sitzen und da kein Sessel mehr frei war, habe ich gerne mit ihr getauscht, ließ mich zudecken und schlummerte ein Weile vor mich hin. Dennoch dauerte alles viel zu lange, um 15:30 bin ich abgehauen und ließ den Rest Taxol im Beutel stehen.
Durch die reichliche Flüssigkeit, die dem Körper zugeführt wurde, musste ich ständig auf Toilette. Das bedeutete, nach der Arzthelferin rufen, mich abstöpseln lassen, Pippie machen und mich wieder anstöpseln lassen. Die Arzthelferinnen waren sehr nett und kamen immer flink angelaufen, wenn man nach ihnen rufte.
Die Nebenwirkungen der Chemotherapie sind berüchtigt. Es ist heute nicht mehr so, dass man wochenlang kotzend über einem Eimer hängt und in einen sterilen Raum verschlossen wird, aber nach der Chemo ging es mir immer eine Woche mehr oder weniger schlecht. Ich litt unter folgenden Nebenwirkungen:
Glücklicherweise war die Übelwoche immer pünktlich zu Ende und die folgenden zwei Wochen bis zur nächsten Chemo ging es mir ganz gut. Mein guter Appetit hatte allerdings nie gelitten, da die Übelkeit eher unterschwellig war und mit MCP-Tropfen in Schach gehalten wurde. Die Anämie wurde von mal zu mal schlimmer. Mein Hämoglobin-Tiefenrekord lag nach dem letzten Zyklus bei 8,9, der untere Normwert bei Frauen liegt bei 12. Zur Behandlung der Anämie erhielt ich dreimal leckeres Vampirfutter der Blutgruppe 0+.
Da nicht nur die Erythrocyten sondern auch Leukocyten und Thrombocyten unter der Chemotherapie leiden, ist die Infektanfälligkeit und die Blutungsneigung erhöht. Außer einem kleinen Lippenherpes und einer kleinen Entzündung der Mundschleimhaut, die dank Salben und Gel schnell wieder abheilten, hatte ich jedoch keine Infekte. Zur Pflege der Mundschleimhaut gurgelte ich zweimal täglich mit Rathania-Mundwasser von Weleda.
Zwischen den Therapie-Zyklen hatte ich immer eine Arzt-Termin zur Kontrolle meiner Befindlichkeit. Beim Termin nach der vierten Chemo überraschte mich mein Doc mit dem Vorschlag, eine CT zu machen und bei postivem Ergebniss die Chemotherapie zu beenden. Mein Tumormarker CA-125 sei nämlich schon nach dem ersten Therapiezyklus auf einen gesunden Wert abgesunken.
Schnell wurde ein Termin in der benachbarten Radiologie-Praxis vereinbart und am 01.Oktober wurde dort eine Computer-Tomographie meines Abdomens durchgeführt.
Mir graute etwas vor der Untersuchung, denn ich hatte den Geschmack des Kontrastmittels aus dem Krankenhaus in Laatzen, wo meine erste CT durchgeführt wurde, in schrecklichster Erinnerung. Einen Liter von dem Ekelzeug musste ich in einer Stunde trinken. Glücklicherweise war der Eigengeschmack diesmal relativ gering. Dennoch ist das Zeug alles andere als bekömmlich, mir wurde etwas übel und schummerig. Wieso mir die Ärztin neben dem Kontrastmittel einen Tampon in die Hand drückte, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Ich war zu überrascht, um nach dem Sinn des Tampons zu fragen. Für eine Frau in der Postmenopause mit trockenen Vaginalschleimhäuten ist die Einführung eines Tampons schmerzhaft, brr diese Dinger konnte ich schon zu menstruierenden Zeiten nicht ausstehen und habe sie nie benutzt.
Die Durchführung der CT selbst ist ganz angenehm. Man liegt auf einer kuscheligen Liege und wird unter das Röntgengerät, das entfernt an das Stargate im Kleinformat erinnert, gefahren. Per Lautsprecher werden Atemkommandos gegeben: Einatmen, Luft anhalten, Ausatmen. Schließlich wird noch ein Kontrastmittel in die Vene gespritzt. Dabei wurde es mir kurzfristig sehr warm und mein Herzschlag erhöhte sich, aber das ging schnell wieder vorbei.
Nach der CT war mir bis zum späten Nachmittag schlecht und ich ruhte in meinem Bettchen.
Am 04. Oktober hatte ich einen Termin in der Onkologie, bei dem das Ergebniss der CT besprochen werden sollte. Es war das erstemal, dass ich Angst vor dem Arzttermin hatte. Ich horchte in mich hinein und fragte mich, wovor habe ich eigentlich Angst. Der unbedarfte Leser wird glauben, ich hätte Angst, die CT könne zeigen, wie sehr mein Bauch noch immer von Krebs zerfressen sei. Nein, das Gegenteil war der Fall. Ich hatte Angst, der Krebs könne verschwunden sein, denn ich empfand den Krebs als Schutzmantel vor der bösen Oberwelt, mit dem ich mich aus der Knechtschaft eines vergewaltigenden Arbeitsplatzes frei gekauft hatte. Würde man mich krebsfrei wieder in die überfordernde Welt hinaus jagen? Nichts ist mir mehr zu wider als zu einem stumpfsinnigen, überreizenden, sinnlosen Job gezwungen zu werden. Da möchte ich mich doch lieber in ein Hospiz einkuscheln und in Frieden sterben. Ich werde mich zwar nicht mehr in einen dämlichen Job zwingen lassen, so viel steht fest, aber auf eventuell bevorstehende Kämpfe mit dem Arbeitsamt habe ich keine Lust, dazu bin ich als alte Seele zu lebensmüde.
Ich konnte die Angst körperlich mit einem flauen Gefühl im Magen spüren. Wie zu erwarten war, zeigte die CT, dass Bauch und Becken blank geputzt und krebsfrei sind. Nun habe ich auch eine Erklärung für meine chronischen Schmerzen im Unterleib. Es war mir ja immer klar, dass diese auf postoperative Verwachsungen zurück zu führen sein müssten. In der CT zeigten sich mit Lymphflüssigkeit gefüllte Kompartimente, die man Lymphozelen nennt und die durch die Entfernung von Lymphknoten entstanden sind. Mein Onkologe gab mir eine Überweisung zum Gynäkologen mit. Ich sollte nachfragen, ob man die Lymphozelen vielleicht punktieren kann. Negativ, die Gefahr, eine große Arterie zu treffen ist dabei zu groß. Also werde ich mit den Dingern weiterleben müssen und fleißig mein Schmerzmittel Tilidin schlurfen.
Mein Onkologe hat so viele Fälle zu betreuen, dass er sich bei einer Konsultation nie an das erinnern kann, was er beim letztenmal gesagt hat. Weil ich schon einen Termin für den fünften Chemo-Zyklus vereinbart hatte, meinte er, ich solle den fünften Zyklus noch machen, der sechste würde mir dann erlassen werden. Ich stimmte zu, nicht weil ich den fünften Zyklus noch für nötig hielt, sondern um meinen Krankenstand so lange wie möglich hinaus zu zögern, denn lieber liege ich nach der Chemo eine Woche darnieder, als mich wieder in die krankmachende Callcenter-Hölle zu begeben. Dort werde ich unter gar keinen Umständen mehr hingehen, koste es, was es wolle. Am 31.Dezember 2007 läuft mein Vertrag glücklicherweise aus und der Spuk ist vorbei – ein Hoch auf befristete Arbeitsverträge, die mich bisher immer aus quälenden Arbeitsverhältnissen befreit haben.
Sorgen muss ich mir vorerst keine mehr machen. Mein Hausarzt wird mir weiterhin jeden Monat den Zahlschein für das Krankengeld abstempeln. Er hat mir sogar vorgeschlagen, beim Versorgungsamt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beantragen. Denn auch wenn der Krebs plötzlich so schnell verschwunden ist wie er damals gekommen ist, so bin ich nach wie vor eine Todeskandidatin und habe nach wie vor das Gefühl, mich in meinem Exkarnationsprozess zu befinden. Es wäre schon ein übler Zynismus des Schicksals, wenn alle Eierstockkrebspatientinnen sterben müssen – nur ich nicht.
Krebs kommt und geht und kommt wieder. Gerade Eierstockkrebs hat eine hohe Rezidiv-Wahrscheinlichkeit. Man kann Jahre krebsfrei bleiben, so lange, dass man gerade anfängt, den Krebs zu vergessen und dann ist er plötzlich wieder da. Aber bis dahin bleibt noch genug Zeit, um dem Leben bei guter Lebensqualität eine Glücksblumen-Strauß abzugewinnen und fleißig Romane zu schreiben.
Meine letzte Chemo war am 09.Oktober, die Übelwoche liegt hinter mir, mein Hämoglobin-Wert hat sich erholt und liegt jetzt bei satten 11,2. Nach meinem heutigen (22.10.) Kontrolltermin muss ich erst am 08.Januar 2008 wieder in die Onkologie. Komisch, ich hatte mich so an die Praxis gewöhnt, ich glaube, ich werde sie vermissen. Irgendwie muss ich mich erst darauf einstellen, dass der ganze Spuk so schnell wieder vorbei sein soll, vorerst. Nicht mal bleibende Einschränkungen habe ich davon getragen.
Dennoch ist Krebs eine chronische Krankheit, da engmaschige Kontrollen erforderlich sind, um das Rezidiv frühzeitig zu erkennen. Der Lebensgefährdung wird auch in der Bürokratie Rechnung getragen durch hohe Prozentwerte beim Grad der Behinderung und der Möglichkeit, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erwirken.
Also werde ich jetzt die krebsfreie Zeit genießen und mich kreativ austoben und nebenbei die Vorzüge ausnutzen, die mir als schwerkranke Frau mit bester Gesundheit zustehen ;-)
Der Beitrag wurde am Montag 22. Oktober 2007 um 18:42 veröffentlicht und wurde unter Oberwelt-Abenteuer abgelegt. Du kannst die Kommentare zu diesen Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen. Kommentare sind derzeit geschlossen, aber Du kannst einen Trackback auf deiner Seite einrichten.
ich bete für dich, wunderbare frau.
Herzlichen Dank, das kann ich gebrauchen.
hallo bin neu hier…und habe tausend fragen…erst mal schauen ob noch wer da ist
lg ilo
@ilo
Hallo Ilo, ja hier bin ich, die Blogschreiberin.
Weche Fragen hast Du denn?
Hallo Persephone
Habe heute deinen Bericht gelesen, es hört sich alles so locker vom hocker an wie du die Chemo beschreibst. Bei mir geht es am 1.Febr. los und ich habe furchtbare Angst.Jetzt geht es mir noch solala, aber was ist nach der Chemo, wenn auch gesunde Organe angegriffen werden?Wie geht es dir nach 2 Jahren? Ist das Leben noch lebenswert?
LG ahnius